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Automatische vs. manuelle Accessibility-Tests: Vor- und Nachteile
Digitale Barrierefreiheit ist weit mehr als ein gesetzliches Erfordernis – sie ist ein entscheidender Faktor für Nutzerfreundlichkeit, digitale Teilhabe und wirtschaftlichen Erfolg. Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und digitale Dienstleister stehen heute vor der Herausforderung, ihre Webangebote für alle Menschen zugänglich zu machen – unabhängig von individuellen Einschränkungen. Dabei spielen Accessibility-Tests eine zentrale Rolle. Doch welche Methoden sind besser geeignet: automatische Prüfverfahren oder manuelle Tests durch Expert*innen? Die Antwort liegt nicht im Entweder-oder, sondern im Zusammenspiel beider Verfahren – und in ihrem gezielten, differenzierten Einsatz.
Automatische Tests: Schnelligkeit und Skalierbarkeit
Automatische Accessibility-Tests basieren auf softwaregestützten Tools, die Quellcode und Strukturen von Websites oder digitalen Anwendungen auf Konformität mit anerkannten Standards wie der WCAG 2.1 oder WCAG 2.2 prüfen. Solche Tools – etwa Axe, WAVE, Lighthouse oder Pa11y – können in Sekundenschnelle hunderte von Seiten nach bekannten Mustern durchsuchen und Auffälligkeiten markieren. Sie liefern objektive, wiederholbare Ergebnisse und lassen sich problemlos in Entwicklungs-Workflows integrieren.
Ihre größte Stärke liegt in der Effizienz: Automatisierte Tests lassen sich regelmäßig, automatisiert und in großem Umfang ausführen – etwa bei jedem neuen Deployment in einem Continuous Integration/Continuous Deployment (CI/CD) Prozess. Damit ermöglichen sie eine kosteneffiziente Grundprüfung, die insbesondere einfache, regelbasierte Fehler aufdeckt: fehlende Alt-Texte, unzureichende Kontraste, fehlerhafte semantische Strukturen oder inkorrekte ARIA-Attribute.
Allerdings ist ihr Potenzial begrenzt. Schätzungen zufolge können selbst die besten automatisierten Tools nur etwa 20–40 % der potenziellen Barrieren zuverlässig erkennen. Subtile Probleme wie komplexe Tastatursteuerung, logische Fokusreihenfolgen, semantische Konsistenz oder die Verständlichkeit von Inhalten entziehen sich der maschinellen Prüfung. Auch das Zusammenspiel mehrerer Komponenten – etwa beim Zusammenspiel von Formularfeldern mit Fehlermeldungen – lässt sich nur schwer automatisiert bewerten.
Manuelle Tests: Tiefe, Kontext und Nutzerperspektive
Manuelle Accessibility-Tests ergänzen diese Lücke. Sie setzen auf menschliche Expertise – sei es durch ausgebildete Accessibility-Expertinnen, spezialisierte Auditorinnen oder sogar direkt durch betroffene Nutzer*innen mit Behinderungen. Diese Form der Evaluation geht weit über die formale Konformitätsprüfung hinaus: Sie betrachtet die tatsächliche Nutzbarkeit und überprüft, ob digitale Angebote wirklich inklusiv gestaltet sind.
Ein manuelles Audit testet die gesamte Benutzerführung – mit Tastatur, Screenreader oder Vergrößerungssoftware. Dabei werden typische Nutzungsszenarien durchgespielt, etwa das Ausfüllen eines Kontaktformulars oder das Navigieren durch ein Menü. Auch sprachliche Aspekte wie die Verständlichkeit von Anleitungen, die Barrierefreiheit von PDFs oder die Zugänglichkeit eingebetteter Medieninhalte (Videos mit Untertiteln und Audiodeskriptionen) werden kritisch bewertet.
Zudem bieten manuelle Prüfungen die Möglichkeit, Prioritäten zu setzen. Ein erfahrener Prüfer erkennt, ob ein Fehler tatsächlich eine relevante Barriere darstellt – oder ob er eher kosmetischer Natur ist. So lassen sich die Ressourcen gezielter einsetzen und Maßnahmen nach tatsächlicher Auswirkung priorisieren.
Die Kombination beider Verfahren: Synergien nutzen
In der Praxis führt kein Weg an einer Kombination beider Methoden vorbei. Automatisierte Tests sind exzellent für das Screening großer Webseiten und zur Absicherung technischer Mindeststandards – etwa beim Launch neuer Seiten oder als Bestandteil der Qualitätssicherung. Manuelle Tests hingegen bieten Tiefe, Kontext und Nutzerzentrierung.
Der Schlüssel liegt im strukturierten Vorgehen. Automatisierte Tools können frühzeitig im Entwicklungsprozess eingebunden werden und helfen, systematische Fehlerquellen bereits bei der Entstehung zu erkennen. In späteren Phasen – etwa vor dem Go-Live – empfiehlt sich ein vertieftes manuelles Audit, idealerweise ergänzt durch Tests mit Betroffenen. So entsteht ein mehrstufiges Prüfkonzept, das sowohl Breite als auch Tiefe abdeckt.
Viele Organisationen entscheiden sich zudem für regelmäßige, zyklische Prüfungen, um den barrierefreien Zustand ihrer digitalen Angebote dauerhaft sicherzustellen. Auch Monitoring-Tools können helfen, kontinuierlich automatisierte Checks durchzuführen und bei Verschlechterungen frühzeitig zu reagieren.
Rechtliche Perspektive: Rechenschaftspflicht und Nachweisführung
Rein rechtlich betrachtet spielt die Methodik der Tests eine nicht unerhebliche Rolle. Sowohl das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) als auch die europäische Norm EN 301 549 schreiben die Einhaltung bestimmter Barrierefreiheitskriterien vor – und fordern eine dokumentierte Nachweisführung. Unternehmen und öffentliche Stellen müssen also nachweisen können, dass sie Barrierefreiheit nicht nur formal anstreben, sondern auch aktiv prüfen, evaluieren und umsetzen.
Hier kommt der Vorteil der automatisierten Verfahren zum Tragen: Sie sind wiederholbar, dokumentierbar und lassen sich als Teil eines Compliance-Managements etablieren. Manuelle Prüfungen hingegen erzeugen deutlich hochwertigere Nachweise über die tatsächliche Nutzbarkeit – sie werden insbesondere bei Schlichtungsverfahren, Klagen oder öffentlichem Druck zur entscheidenden Referenz.
Zukunftsperspektive: KI-basierte Tests und assistive Analyse
Mit dem Fortschritt in der künstlichen Intelligenz entwickeln sich auch die automatisierten Accessibility-Tools weiter. KI-basierte Analysewerkzeuge sind in der Lage, komplexere Muster zu erkennen – etwa ob die visuelle Hierarchie einer Seite konsistent ist oder ob ein Bild mit generiertem Alt-Text tatsächlich den semantischen Inhalt korrekt wiedergibt. Diese Verfahren können den manuellen Prüfaufwand verringern, ersetzen ihn aber nicht.
Auch semantische Analyse von Sprachinhalten, Simulationen unterschiedlicher Einschränkungen oder automatische Kontrastbewertungen in dynamischen Layouts gewinnen an Bedeutung. Dennoch bleibt das menschliche Urteil – insbesondere für kontextabhängige Fragestellungen – zentral.