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Wie man eine digitale Barrierefreiheitsstrategie im Unternehmen etabliert
Die digitale Barrierefreiheit hat sich in den vergangenen Jahren vom optionalen Qualitätsmerkmal zu einer klaren Erwartungshaltung entwickelt – von Nutzer*innen ebenso wie von Gesetzgebern. Unternehmen, die digitale Inklusion konsequent umsetzen wollen, benötigen mehr als punktuelle Maßnahmen. Eine ganzheitliche Strategie ist notwendig, um die digitale Barrierefreiheit nicht nur kurzfristig umzusetzen, sondern dauerhaft im Unternehmen zu verankern.
Digitale Barrierefreiheit als Bestandteil der Unternehmensstrategie
Die Einführung einer digitalen Barrierefreiheitsstrategie beginnt nicht bei der Technik, sondern im Verständnis dafür, warum Barrierefreiheit ein strategischer Erfolgsfaktor ist. In vielen Unternehmen wird digitale Inklusion zunächst als Zusatzaufgabe im Bereich Webentwicklung oder Design verstanden. Dabei handelt es sich um eine Querschnittsaufgabe, die alle Abteilungen betrifft – von der IT über das Marketing bis hin zur Personalabteilung und zum Management. Die erste Herausforderung besteht also darin, Barrierefreiheit nicht als Projekt, sondern als Teil der digitalen Transformation zu begreifen.
Eine langfristige Strategie zur digitalen Barrierefreiheit basiert auf einem klaren Bekenntnis der Unternehmensleitung. Ohne ein sichtbares Commitment der Führungsebene fehlt oft die Durchschlagskraft, um strukturelle Veränderungen anzustoßen. Deshalb beginnt die strategische Verankerung mit der Kommunikation: Führungskräfte müssen nicht nur Ziele definieren, sondern auch aktiv für barrierefreies Denken und Handeln werben. Denn ohne Bewusstseinswandel bleiben technische Maßnahmen wirkungslos.
Eine fundierte Bestandsaufnahme als Ausgangspunkt
Bevor ein Unternehmen Maßnahmen plant, braucht es eine fundierte Analyse des Status quo. Dabei geht es nicht nur darum, die eigene Website oder App auf Barrierefreiheit zu überprüfen, sondern das gesamte digitale Ökosystem des Unternehmens zu erfassen. Welche Dokumente werden intern und extern bereitgestellt? Wie funktionieren Bewerbungsprozesse? Wie werden Schulungsunterlagen oder Präsentationen aufbereitet?
Ein professioneller Accessibility Audit liefert hier verlässliche Daten – idealerweise auf Basis der international anerkannten WCAG 2.2 und der nationalen Umsetzungsrichtlinien wie der BITV 2.0. Unternehmen, die nach EN 301 549 oder dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) zur Barrierefreiheit verpflichtet sind, können so frühzeitig Risiken erkennen. Doch auch Unternehmen, die (noch) nicht gesetzlich gebunden sind, profitieren von dieser Analyse: Sie entdecken Lücken, die Kundenzufriedenheit und Conversion schmälern.
Barrierefreiheit als Bestandteil digitaler Prozesse
Eine erfolgreiche Strategie integriert Barrierefreiheit in alle relevanten Prozesse. Das beginnt bereits in der Konzeptionsphase digitaler Produkte. Accessibility by Design bedeutet, dass bereits bei der Planung von Websites, Online-Services oder digitalen Tools barrierefreie Kriterien berücksichtigt werden – nicht erst im Nachgang.
Dazu gehört unter anderem die Auswahl barrierefreier Technologien, das Einhalten von Kontrasten, die korrekte Verwendung semantischer HTML-Strukturen und die Einbindung assistiver Technologien. Die Umsetzung gelingt nur, wenn diese Prinzipien systematisch im UX-Design, in der Content-Erstellung und in der Softwareentwicklung verankert sind. Accessibility muss in Styleguides, Designsysteme und Code-Standards aufgenommen werden – und sie muss Teil von Qualitätssicherung und Testing werden.
Ein Unternehmen, das digitale Barrierefreiheit ernst nimmt, integriert automatisierte Accessibility-Checks in den Entwicklungsprozess und führt ergänzend manuelle Prüfungen durch. Automatisierte Tools erkennen viele technische Fehler, aber keine komplexen Verständlichkeitsprobleme. Deshalb braucht es beides: Tools und menschliche Expertise.
Schulung und Sensibilisierung als Erfolgsfaktoren
Digitale Barrierefreiheit ist kein reines Technikthema – sie lebt vom Bewusstsein der Menschen, die digitale Inhalte erstellen, pflegen oder verantworten. Deshalb sind Schulungen und Sensibilisierungskampagnen zentrale Bausteine jeder Strategie. Es geht darum, Wissen aufzubauen und gleichzeitig Barrieren im Denken abzubauen.
Inhalte sollten an Zielgruppen angepasst werden: Entwicklerinnen benötigen andere Informationen als Texterinnen oder Führungskräfte. Praxisnahe Beispiele helfen, die Bedeutung von Kontrastverhältnissen, Tastaturnavigation oder Alternativtexten zu verstehen. Workshops mit Menschen mit Behinderungen können zusätzlich helfen, Perspektivwechsel zu ermöglichen und konkrete Probleme erfahrbar zu machen.
Darüber hinaus sollten Unternehmen für interne Kommunikationskanäle, E-Learning-Plattformen oder HR-Prozesse eigene Accessibility-Richtlinien etablieren. Denn die digitale Barrierefreiheit endet nicht an der Grenze zur Außenkommunikation – sie ist auch ein Ausdruck interner Kultur.
Accessibility Governance: Zuständigkeiten klar definieren
Damit Barrierefreiheit dauerhaft in einem Unternehmen funktioniert, braucht es klare Verantwortlichkeiten. Eine digitale Barrierefreiheitsstrategie ist nur erfolgreich, wenn sie nicht allein von engagierten Einzelpersonen getragen wird. Verantwortlichkeiten sollten institutionell verankert werden – etwa durch die Benennung eines oder mehrerer Accessibility-Beauftragten oder durch ein zentrales Accessibility-Team.
Ein Governance-Modell sollte dokumentieren, wer für welche Aspekte verantwortlich ist – vom technischen Testing über Content-Freigaben bis hin zur Kommunikation mit Externen. Ergänzend sollte es ein regelmäßiges Monitoring geben, um Fortschritte messbar zu machen. Denn ohne Transparenz fehlt die Möglichkeit zur kontinuierlichen Verbesserung.
Viele Unternehmen setzen auf Reifegradmodelle, um ihren Fortschritt zu dokumentieren und neue Ziele abzuleiten. Hier kann auch eine Zertifizierung – etwa nach dem „Access Ready“-Standard – einen Rahmen bieten, um Qualität und Engagement zu dokumentieren.
Barrierefreiheit als Innovationsmotor
Digitale Barrierefreiheit wird oft als Belastung gesehen – dabei ist sie ein Motor für Innovation. Lösungen, die für Menschen mit Behinderungen entwickelt wurden, verbessern oft die Usability für alle. Tastaturnavigation, klare Strukturen, alternative Darstellungsformen – all das sind keine Sonderlösungen, sondern Bestandteile einer modernen UX.
Ein Unternehmen, das Barrierefreiheit systematisch denkt, baut digitale Erlebnisse für alle Menschen. Es schafft Vertrauen, demonstriert Haltung – und grenzt sich im Wettbewerb positiv ab. Vor allem in Bereichen mit hohem digitalem Kundenkontakt – etwa E-Commerce, Banking, Medien oder Bildung – ist die Barrierefreiheit längst ein Wettbewerbsfaktor. Und mit Blick auf den demografischen Wandel ist klar: Digitale Angebote müssen auch für ältere Menschen nutzbar sein – und genau dort greifen viele Accessibility-Prinzipien.