Die Rolle der WCAG, BITV & EU-Gesetze – ein Überblick

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Barrierefreiheit ist in der digitalen Gesellschaft kein bloßes Ideal mehr, sondern ein rechtlich bindendes Ziel mit wachsender Relevanz. Während früher vor allem soziale oder ethische Überlegungen im Mittelpunkt standen, sind es heute vor allem rechtliche Rahmenwerke, die Unternehmen, Behörden und Entwickler zur Umsetzung digitaler Barrierefreiheit verpflichten. In diesem Kontext spielen insbesondere drei Regelwerke eine zentrale Rolle: die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) und eine Reihe von EU-Gesetzen, darunter maßgeblich der European Accessibility Act (EAA).

Diese verschiedenen Normensysteme greifen ineinander und ergänzen sich. Sie definieren Anforderungen, setzen Fristen und schaffen Verbindlichkeit – nicht nur für öffentliche Stellen, sondern zunehmend auch für private Wirtschaftsakteure. Der folgende Beitrag liefert einen umfassenden Überblick über diese Regelwerke, zeigt ihre jeweilige Rolle und erläutert, wie sie gemeinsam eine Infrastruktur für digitale Inklusion in Europa und insbesondere in Deutschland schaffen.


Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG): Der internationale Standard

Die WCAG sind das international anerkannteste Regelwerk für barrierefreie Webinhalte. Sie wurden vom World Wide Web Consortium (W3C) herausgegeben, einer global agierenden Organisation, die Internetstandards entwickelt. Ziel der WCAG ist es, allen Menschen – unabhängig von körperlichen, sensorischen oder kognitiven Einschränkungen – einen gleichwertigen Zugang zu digitalen Informationen und Diensten zu ermöglichen.

Die WCAG beruhen auf vier Prinzipien: Inhalte sollen wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sein. Diese Prinzipien wurden über mehrere Versionen hinweg präzisiert und in Prüfkriterien übersetzt, die in drei Konformitätsstufen A, AA und AAA gegliedert sind. Besonders relevant ist die Stufe AA, da sie als Standardanforderung für öffentliche Stellen in vielen Ländern – darunter auch Deutschland – gilt.

Technisch gesehen umfassen die WCAG Anforderungen an Textalternativen für visuelle Inhalte, an Bedienbarkeit mit der Tastatur, an ausreichende Farbkontraste, an die Strukturierung von Inhalten sowie an die Kompatibilität mit assistiven Technologien. Auch Anforderungen an Zeitbegrenzungen, Animationen und Fehlervermeidung gehören dazu.

Die große Stärke der WCAG liegt in ihrer technischen Präzision und internationalen Anerkennung. Sie bieten eine solide Grundlage für nationale Gesetze und Vorschriften und sind zudem fortlaufend in Entwicklung – zuletzt mit der Version WCAG 2.2, die neue Anforderungen an interaktive Komponenten und die Bedienung durch mobile Endgeräte berücksichtigt.


Die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV): Die deutsche Umsetzung

In Deutschland bildet die BITV die nationale Grundlage für die Umsetzung digitaler Barrierefreiheit in öffentlichen Institutionen. Sie basiert auf dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und wurde erstmals 2002 eingeführt. Seither wurde sie mehrfach überarbeitet, um internationale Entwicklungen – insbesondere die WCAG – auf nationaler Ebene zu implementieren.

Die aktuell geltende Fassung der BITV 2.0 verweist ausdrücklich auf die WCAG in der Version 2.1. Damit sind die dort definierten Anforderungen verbindlich für alle Websites und mobilen Anwendungen von Behörden des Bundes. Für Einrichtungen der Länder gelten meist entsprechende eigene Verordnungen, die sich inhaltlich jedoch stark an der BITV orientieren.

Die BITV schreibt nicht nur technische Anforderungen vor, sondern auch Maßnahmen zur Qualitätssicherung. Dazu gehört die Durchführung regelmäßiger Barrierefreiheitsprüfungen, die Veröffentlichung von Erklärungen zur Barrierefreiheit auf den jeweiligen Websites und die Einrichtung von Feedbackmechanismen. Nutzerinnen und Nutzer sollen die Möglichkeit haben, Mängel in der Barrierefreiheit zu melden – auf deren Grundlage die Behörden verpflichtet sind, innerhalb angemessener Frist zu reagieren.

Eine wichtige Besonderheit der BITV liegt in ihrer juristischen Verbindlichkeit für den öffentlichen Sektor. Während private Unternehmen bislang nur eingeschränkt verpflichtet waren, gilt die BITV für alle Bundesbehörden und wird durch ergänzende Regelwerke auf Länderebene weiter konkretisiert. Sie ist damit ein zentraler Baustein für digitale Inklusion in der deutschen Verwaltung.


Der European Accessibility Act (EAA) und weitere EU-Gesetze: Harmonisierung auf europäischer Ebene

Der European Accessibility Act (EAA) ist ein Meilenstein in der Entwicklung europäischer Barrierefreiheitsregulierung. Als Richtlinie 2019/882 wurde er von der Europäischen Union verabschiedet, um einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die digitale und physische Barrierefreiheit innerhalb des Binnenmarkts zu schaffen. Ziel ist es, Hürden für Menschen mit Behinderungen abzubauen und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen durch harmonisierte Vorschriften zu stärken.

Im Unterschied zur BITV, die primär für staatliche Stellen gilt, richtet sich der EAA explizit auch an die private Wirtschaft. Er betrifft eine breite Palette von Produkten und Dienstleistungen, darunter:

  • Bankdienstleistungen und Geldautomaten

  • Telekommunikationsausrüstungen und -dienste

  • E-Books und E-Commerce-Plattformen

  • Ticketautomaten und Selbstbedienungsterminals

Die Mitgliedstaaten waren verpflichtet, den EAA bis 2022 in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland geschah dies durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das 2025 in Kraft tritt. Dieses Gesetz verpflichtet Unternehmen in zentralen Sektoren, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten – einschließlich Webseiten, Apps und bestimmter elektronischer Geräte.

Damit markiert der EAA einen Paradigmenwechsel: War Barrierefreiheit bislang vorrangig ein Thema des öffentlichen Sektors, so wird sie nun zur Pflicht für weite Teile der Privatwirtschaft. Dies betrifft nicht nur Großunternehmen, sondern – abhängig vom Geschäftsmodell – auch kleinere Anbieter, sofern ihre Produkte oder Dienstleistungen unter die im EAA festgelegten Kategorien fallen.

Ein weiteres wichtiges EU-Instrument ist die Richtlinie (EU) 2016/2102, die bereits vor dem EAA in Kraft trat. Sie verpflichtet öffentliche Stellen zur barrierefreien Gestaltung ihrer Webseiten und mobilen Anwendungen. Diese Richtlinie hat die Entwicklung auf nationaler Ebene – etwa die Reform der BITV – stark beeinflusst.

Die EU-Richtlinien sehen neben technischen Standards auch umfassende Monitoring-Verpflichtungen vor. Die Mitgliedstaaten müssen regelmäßig über die Einhaltung der Vorgaben berichten. Darüber hinaus ist vorgesehen, dass Barrierefreiheit ein Bestandteil der öffentlichen Beschaffung wird. Produkte und Dienstleistungen, die im Rahmen öffentlicher Ausschreibungen angeboten werden, müssen nachweislich barrierefrei sein.


Wechselwirkungen und Abgrenzungen der Regelwerke

Die WCAG, die BITV und die EU-Richtlinien verfolgen dasselbe Ziel: die umfassende Zugänglichkeit digitaler Angebote. Dennoch bestehen Unterschiede hinsichtlich ihrer Herkunft, ihres Anwendungsbereichs und ihrer rechtlichen Verbindlichkeit.

Die WCAG fungieren als technischer Referenzrahmen, der von nationalen und supranationalen Gesetzen aufgegriffen und verbindlich gemacht wird. Sie sind nicht per se rechtlich bindend, erhalten ihre normative Kraft erst durch die Verankerung in Gesetzen wie der BITV oder dem EAA. Ihre Rolle ist damit fundamental, aber mittelbar.

Die BITV ist ein nationales Ausführungsgesetz, das konkrete Anforderungen für deutsche Behörden festlegt. Sie basiert auf den WCAG, formuliert jedoch eigene Umsetzungsmechanismen und Prüfkriterien. Ihre Anwendung ist derzeit noch auf den öffentlichen Sektor beschränkt, könnte aber perspektivisch auf weitere gesellschaftliche Bereiche ausgedehnt werden.

Der EAA schließlich überführt die Anforderungen in einen verbindlichen, grenzüberschreitenden Rechtsrahmen. Er fordert von Unternehmen eine umfassende Anpassung ihrer digitalen Produkte und Dienstleistungen und wird durch nationale Gesetze wie das BFSG konkretisiert.

Insgesamt bilden diese drei Ebenen – international (WCAG), national (BITV) und supranational (EAA) – ein ineinandergreifendes System, das klare Anforderungen formuliert, aber auch Raum für Interpretation und Umsetzung bietet. Für Unternehmen, Behörden und Entwickler bedeutet dies: Die Kenntnis und das Verständnis der jeweiligen Regelwerke sind Voraussetzung für die rechtssichere und inklusive Gestaltung digitaler Angebote.

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