Welche Screenreader gibt es – und wie funktionieren sie?

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Digitale Barrierefreiheit steht und fällt mit der Zugänglichkeit von Inhalten für alle Nutzergruppen. Eine zentrale Rolle spielen dabei sogenannte Screenreader – Softwarelösungen, die insbesondere blinden und stark sehbehinderten Menschen ermöglichen, digitale Inhalte zu erfassen. Indem sie Textinformationen in Sprache oder Braille-Ausgabe übersetzen, schaffen sie einen Zugang zu Websites, Anwendungen und Dokumenten, der andernfalls verschlossen bliebe. Doch was genau leisten Screenreader? Wie arbeiten sie technisch, welche Herausforderungen stellen sich bei ihrer Nutzung – und was bedeutet das für die barrierefreie Gestaltung digitaler Inhalte?

Screenreader sind hochspezialisierte Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine. Ihre Funktionsweise ist komplex, ihr Einsatz alltäglich für viele Millionen Menschen weltweit. Der folgende Beitrag bietet eine detaillierte Auseinandersetzung mit den wichtigsten Screenreadern, erläutert ihre Funktionsprinzipien, zeigt Unterschiede im Nutzungskontext auf und erklärt, wie Webentwickler, Redakteure und Designer Inhalte so gestalten können, dass sie für diese Technologien optimal zugänglich sind.

Funktionsweise von Screenreadern: Struktur statt Oberfläche

Im Gegensatz zu sehenden Nutzer*innen greifen Screenreader nicht auf die visuelle Darstellung von Inhalten zurück. Sie orientieren sich an der zugrunde liegenden semantischen Struktur einer Webseite oder Anwendung – also an der Art und Weise, wie Inhalte im HTML-Code ausgezeichnet und durch semantische Informationen versehen sind. Diese Struktur wird durch sogenannte Accessibility-APIs zugänglich gemacht, die von den Betriebssystemen bereitgestellt werden. Die Screenreader lesen diese Informationen aus und geben sie über synthetische Sprache oder eine Braillezeile aus.

Damit ein Screenreader eine Webseite sinnvoll wiedergeben kann, muss sie korrekt strukturiert sein. Das beginnt bei der konsequenten Verwendung von Überschriften-Hierarchien, der semantischen Kennzeichnung von Navigationselementen, Buttons, Formularfeldern und Tabellen, und reicht bis zur Definition von Rollen und Zuständen über ARIA-Attribute (Accessible Rich Internet Applications).

Der Screenreader verarbeitet diese Informationen in einer linearen Weise: Er liest Inhalte, je nach Nutzereinstellung, von oben nach unten vor, erlaubt aber auch das gezielte Navigieren zwischen Elementen – etwa von Überschrift zu Überschrift oder von Link zu Link. Die Nutzbarkeit steht und fällt dabei mit der semantischen Präzision, der klaren Benennung von Inhalten und der korrekten Umsetzung der zugrunde liegenden Technik.

Wichtige Screenreader im Überblick und ihre Besonderheiten

Die Welt der Screenreader ist vielfältig. Die bekanntesten und am häufigsten genutzten Lösungen unterscheiden sich in ihrer technischen Ausrichtung, ihrer Plattformkompatibilität und ihren Zielgruppen.

JAWS (Job Access With Speech) ist einer der ältesten und funktionsreichsten Screenreader für das Windows-Betriebssystem. Er wird insbesondere im professionellen Umfeld verwendet, etwa in Behörden oder Unternehmen, da er umfassende Anpassungsmöglichkeiten bietet, mit vielen Applikationen kompatibel ist und eine stabile Unterstützung komplexer Softwarelösungen gewährleistet. Die umfassende Ausstattung und die hohe Qualität der Sprachausgabe machen JAWS zu einem leistungsstarken Werkzeug, allerdings ist er kostenpflichtig.

NVDA (NonVisual Desktop Access) hingegen ist eine kostenlose Open-Source-Alternative für Windows. Trotz seiner freien Lizenz bietet NVDA eine bemerkenswerte Funktionsvielfalt und wird kontinuierlich von einer aktiven Community weiterentwickelt. NVDA ist besonders bei Privatanwender*innen und in Bildungseinrichtungen beliebt. Die Software lässt sich mit vielen gängigen Webbrowsern kombinieren, unterstützt zahlreiche Sprachen und ist gut für die Entwicklung und das Testen barrierefreier Inhalte geeignet.

VoiceOver ist der standardmäßig integrierte Screenreader auf Apple-Geräten. Er ist sowohl auf macOS als auch auf iOS verfügbar und wurde von Apple konsequent in das Betriebssystem eingebettet. VoiceOver zeichnet sich durch eine enge Verzahnung mit der Touch-Bedienung aus, was insbesondere auf mobilen Endgeräten eine barrierefreie Interaktion ermöglicht. Nutzer*innen können sich durch Touch-Gesten, Rotor-Funktionen und Sprachfeedback durch Inhalte navigieren.

TalkBack, die Android-Alternative zu VoiceOver, wurde in den vergangenen Jahren deutlich weiterentwickelt. Die Integration in das Betriebssystem Android erlaubt eine zunehmend präzise Bedienung auch komplexer Anwendungen. In der Praxis hängt die Qualität von TalkBack stark von der jeweiligen Implementierung der App-Entwickler*innen ab, was zu gewissen Unterschieden im Nutzungserlebnis führen kann.

Jeder dieser Screenreader bringt eigene Stärken, Schwächen und Anforderungen mit. Für Webentwickler*innen bedeutet dies, dass Barrierefreiheit plattformübergreifend gedacht werden muss. Die Einhaltung internationaler Standards wie WCAG (Web Content Accessibility Guidelines) sorgt dafür, dass Inhalte grundsätzlich mit allen gängigen Screenreadern nutzbar sind.

Herausforderungen aus Sicht der Nutzer*innen

Das Arbeiten mit einem Screenreader erfordert ein hohes Maß an Orientierung, Konzentration und technischem Verständnis. Der lineare Informationszugang, den Screenreader bieten, unterscheidet sich grundlegend von der visuellen Interaktion mit Inhalten. Nutzer*innen müssen sich durch Inhalte „hören“ und mithilfe von Tastaturbefehlen gezielt navigieren. Das bedeutet, dass selbst kleine Unklarheiten in der Struktur – etwa ein nicht korrekt beschriftetes Formularfeld oder ein irreführender Linktext – zu erheblichen Hürden führen können.

Hinzu kommt die große Abhängigkeit von der Konsistenz digitaler Inhalte. Während ein Mensch visuell einen Zusammenhang erraten oder Missverständnisse durch Kontextinformationen ausgleichen kann, ist ein Screenreader auf genaue Informationen angewiesen. In der Praxis bedeutet das: Inhalte müssen nicht nur gut aussehen, sondern vor allem korrekt codiert, sauber ausgezeichnet und nachvollziehbar benannt sein.

Die Herausforderung liegt also nicht nur in der technischen Implementierung, sondern im bewussten Mitdenken der Nutzungssituation. Wer barrierefreie digitale Angebote schaffen will, muss die Funktionsweise eines Screenreaders nicht nur kennen, sondern auch verstehen, wie Nutzer*innen damit arbeiten, welche Strategien sie entwickeln und welche Stolpersteine es gibt.

Technische Grundlagen für barrierefreie Inhalte

Damit Inhalte für Screenreader zugänglich sind, müssen sie bestimmten technischen Standards genügen. Dazu gehört eine korrekte semantische Struktur mit HTML5-Elementen, die den Inhalt logisch gliedern. Überschriften, Absätze, Listen, Tabellen, Formulare – sie alle müssen über geeignete Elemente ausgezeichnet werden. Darüber hinaus spielen ARIA-Rollen und -Attribute eine entscheidende Rolle, vor allem bei interaktiven Elementen, die sich nicht über Standard-HTML realisieren lassen.

Barrierefreiheit bedeutet auch Tastaturzugänglichkeit: Alle Funktionen einer Website müssen ohne Maus, ausschließlich über die Tastatur, nutzbar sein. Der Fokus muss sichtbar sein, eine sinnvolle Reihenfolge aufweisen und darf nicht in Sackgassen führen. Auch dynamische Inhalte – etwa modale Fenster, Ajax-Elemente oder Live-Regionen – müssen korrekt ausgezeichnet sein, damit sie von Screenreadern wahrgenommen und korrekt angekündigt werden.

Zudem sind Alt-Texte bei Bildern essenziell: Ein Bild ohne Beschreibung bleibt für Nutzer*innen mit Screenreader vollständig unzugänglich. Der Alt-Text sollte das vermitteln, was das Bild im jeweiligen Kontext bedeutet. Dabei reicht eine rein beschreibende Wiedergabe oft nicht aus – gefragt ist die inhaltliche Relevanz: Was trägt das Bild zur Aussage bei?

Testverfahren und Qualitätskontrolle in der Praxis

Professionelle Webentwicklung kommt heute nicht mehr ohne systematische Tests auf Barrierefreiheit aus. Dabei reicht es nicht aus, sich auf automatisierte Tools zu verlassen. Zwar liefern Programme wie WAVE, Axe oder Lighthouse wichtige Hinweise, doch viele Probleme können nur durch manuelle Prüfung identifiziert werden.

Ein vollständiger Barrierefreiheitstest umfasst daher auch den Einsatz realer Screenreader in Kombination mit verschiedenen Betriebssystemen und Browsern. Dabei wird geprüft, ob Inhalte sinnvoll vorgelesen werden, ob sich die Tastaturnavigation logisch verhält und ob die Reihenfolge, Struktur und Benennung der Elemente nachvollziehbar ist.

Besonders wertvoll sind Tests mit echten Nutzer*innen. Nur sie können realistische Rückmeldungen geben, ob eine Seite nicht nur technisch zugänglich, sondern auch tatsächlich nutzbar ist. In der Praxis zeigt sich dabei oft, dass Barrierefreiheit nicht allein eine Frage der Konformität ist, sondern der tatsächlichen Nutzererfahrung.

Ausblick: Screenreader als Teil inklusiver Digitalisierung

Die Bedeutung von Screenreadern wird in einer zunehmend digitalen Gesellschaft weiter zunehmen. Gleichzeitig entwickeln sich die Technologien selbst rasant weiter: Neue Sprachausgaben, verbesserte Braillezeilen, KI-gestützte Kontexterkennung und sprachgesteuerte Navigation sind längst keine Zukunftsmusik mehr. Auch die Integration in mobile Geräte, Smart-Home-Systeme und AR-Umgebungen wird die Nutzungsmöglichkeiten erweitern.

Diese Entwicklungen machen eines deutlich: Barrierefreiheit darf nicht reaktiv gedacht werden. Wer heute digitale Inhalte erstellt, muss von Anfang an mitdenken, wie diese auch für Menschen zugänglich sind, die nicht visuell, sondern auditiv oder taktil mit Informationen interagieren. Screenreader sind dabei kein Randthema, sondern ein zentraler Schlüssel zu echter digitaler Teilhabe.

Digitale Inklusion beginnt mit Struktur. Und wer die Struktur richtig setzt, ermöglicht Zugang, Selbstbestimmung und Teilhabe – für alle.

 

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